Als Tempo 15 Raserei war
EMMENDINGEN. Wie sich Zeiten und Vorstellungen wandeln und auch die Straßen: Die Umnutzungen in der Karl-Friedrich-Straße sind Anlass für diese kleine BZ-Serie. Sie endet mit einem Schmankerl zum Schmunzeln: Eine Raser-Strafanzeige, die beweist, dass auch die Vorstellung von Geschwindigkeit einem rasanten Wechsel unterliegt. Es ist grade mal 102 Jahre her...
Als detailliertes Beispiel der Geschehnisse auf der Karl-Friedrich-Straße in früheren Zeiten liefert die Hachberg-Bibliothek hier noch ein Beispiel nach vorliegenden Originaltexten, die noch in der alten deutscher Schrift geschrieben sind, sodass sie für uns Heutige erst übersetzt werden müssen. Dementsprechend bereitet uns der amtsdeutsche Stil - auch der der Zeugen - mit seiner Ausführlichkeit, so wie es auch heute verschiedentlich noch der Fall ist, eine gewisse Mischung aus Grausen und Vergnügen.
Die Anzeige von 1911Emmendingen, l. August 1911
An das Bürgermeisteramt dahier
Anzeige des Schutzmannes Meyer I gegen den 44 Jahre alten verheirateten Bezirksbaukontrolleur Josef Brückel, wohnhaft Burgstr. Nr. 15 hier, wegen Übertretung des § 18 der V. des Bundesrats, über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Februar 1910.
1. Fritz Leonhardt Wirth
2. Karl Bürklin Seilermeister
3. Adolf Weil Viehhändler
Der AnzeigeerstatterFritz Leonhardt, welcher Anzeige erstattete, gibt folgendes an:
Der Bezirksbaukontrolleur Brückel fuhr gestern Abend dreiviertel sieben Uhr mit seinem Automobil, in welchem er und drei seiner Kinder Platz genommen hatten, wie rasend durch die Karl-Friedrich-Straße hiesiger Stadt. Die Schnelligkeit betrug die eines galoppierenden Pferdes, eher fuhr Brückel noch bedeutend schneller. Auch an den Straßenkreuzungen der Elz-, Mundinger- und Neustraße, welche alle in die Karl-Friedrich-Straße einmünden, mäßigte der Angezeigte sein schnelles Tempo in keiner Weise, so daß an diesen Stellen leicht ein Unglück hätte entstehen können. Einen ungefähren Begriff, mit welcher Schnelligkeit Brückel sein Fahrzeug durch die Stadt lenkte, läßt sich daraus konstatieren, daß dieser ein vor ihm her fahrendes Automobil direkt vor meiner Wirtschaft überholte. Bemerken möchte ich noch: daß es nicht das erste Mal ist, daß Brückel so schnell fährt, sondern man kann dies tagtäglich beobachten und habe ich ihm auch schon zugerufen, er solle langsamer tun. Auch viele andere Leute haben sich über das allzu schnelle Fahren des Herrn Brückel schon beklagt.
Die ZeugenDer 39 Jahre alte verheiratete Seilermeister Bürklin, wohnhaft Elzstaße 14, äußert sich wie folgt:
Brückel fuhr mit unheimlicher Schnelligkeit durch die Karl-Friedrich-Straße, so daß er ein anderes Auto vor der Wirtschaft zum Grünen Baum überholte. Die Geschwindigkeit, mit der Brückel davongefahren ist, hat die eines galoppierenden Pferdes bei weitem übertroffen. Auch sonst ist mir schon aufgefallen, dass Brückel in hiesiger Stadt viel zu schnell fährt.
Der 55 Jahre alte verheiratete Viehhändler Adolf M. Weil, wohnhaft Karl-Friedrich-Straße Nr. 50, gibt auf Einvernehmen an: Ich kann nur sagen, dass Brückel ungewöhnlich schnell gefahren ist. Dies ist mir aber nicht besonders aufgefallen, denn Herr Brückel fährt überhaupt viel zu schnell.
Der BeschuldigteDer Beschuldigte erklärt auf Vorhalt, dass er nicht glaube, sich strafbar gemacht zu haben, denn er habe die zulässige Geschwindigkeit von 15 Kilometern nicht überschritten. Dass er dem vor ihm herfahrenden Automobil vorbeigefahren ist, erkläre sich daraus, dass dieses Fahrzeug ziemlich langsam fuhr und er den Staub, welcher durch dasselbe verursacht wurde, nicht einatmen wollte.
Kommentar und FolgenBemerkt sei, dass Herr Brückel in hiesiger Stadt immer ungemein schnell fährt und haben sich die Leute deshalb schon vielfach beschwert, auch wurde dieser, von dem Unterzeichneten, wegen der gleichen Übertretung schon gewarnt. Meyer I, Schutzmann Man hat heute den Bezirksbaukontrolleur Brückel persönlich verwarnt.
A. Zircher, Amtmann
Dieser Vorgang beschreibt in farbiger Weise, wie es früher einmal auf der Karl-Friedrich-Straße zuging und fordert uns zum Vergleich mit heute auf.
– Der Autor ist Mitglied der Hachberg-Bibliothek, die im Anwesen Leonhardt Quellen zur Regionalgeschichte sammelt, auf die er ebenso zurückgreift wie auf eigene Erinnerungen.
– Bereits erschienen: Als Dreikönig eine Grenze war (4. Januar), Das Stadttor als Verkehrshindernis (5. Januar), Deckel als Neujahrskracher (8. Januar), Landwirtschaft prägte das Straßenbild (10. Januar). Diese vier ersten Beiträge finden sich komplett in der Emmendinger Chronik, die es kostenlos beim Neujahrsempfang der Stadt am 12. Januar und danach in Rathaus und Verwaltungsstellen gibt.