Samstag, 12. Januar 2013

Als Tempo 15 Raserei war

Als Tempo 15 Raserei war

BZ-SERIE zur Karl-Friedrich-Straße (Teil V und Schluss): Überholen, um keinen Staub einzuatmen.
  1. So sah der Vorgang damals aus: Aus dem Anzeigebuch des Bürgermeisteramts „dahier“. Foto: Repro: BZ

EMMENDINGEN. Wie sich Zeiten und Vorstellungen wandeln und auch die Straßen: Die Umnutzungen in der Karl-Friedrich-Straße sind Anlass für diese kleine BZ-Serie. Sie endet mit einem Schmankerl zum Schmunzeln: Eine Raser-Strafanzeige, die beweist, dass auch die Vorstellung von Geschwindigkeit einem rasanten Wechsel unterliegt. Es ist grade mal 102 Jahre her...
Als detailliertes Beispiel der Geschehnisse auf der Karl-Friedrich-Straße in früheren Zeiten liefert die Hachberg-Bibliothek hier noch ein Beispiel nach vorliegenden Originaltexten, die noch in der alten deutscher Schrift geschrieben sind, sodass sie für uns Heutige erst übersetzt werden müssen. Dementsprechend bereitet uns der amtsdeutsche Stil - auch der der Zeugen - mit seiner Ausführlichkeit, so wie es auch heute verschiedentlich noch der Fall ist, eine gewisse Mischung aus Grausen und Vergnügen.

Die Anzeige von 1911Emmendingen, l. August 1911
An das Bürgermeisteramt dahier

Anzeige des Schutzmannes Meyer I gegen den 44 Jahre alten verheirateten Bezirksbaukontrolleur Josef Brückel, wohnhaft Burgstr. Nr. 15 hier, wegen Übertretung des § 18 der V. des Bundesrats, über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3. Februar 1910.
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Dem Bürgermeisteramt dahier zeige ich damit an, daß der Obengenannte am 31. 7. sich einer Polizeiübertretung dadurch schuldig gemacht hat, daß er abends 3/4 7 Uhr, mit seinem Automobil übermäßig schnell durch die hiesige Stadt gefahren ist. Zeugen:
1. Fritz Leonhardt Wirth
2. Karl Bürklin Seilermeister
3. Adolf Weil Viehhändler

Der AnzeigeerstatterFritz Leonhardt, welcher Anzeige erstattete, gibt folgendes an:
Der Bezirksbaukontrolleur Brückel fuhr gestern Abend dreiviertel sieben Uhr mit seinem Automobil, in welchem er und drei seiner Kinder Platz genommen hatten, wie rasend durch die Karl-Friedrich-Straße hiesiger Stadt. Die Schnelligkeit betrug die eines galoppierenden Pferdes, eher fuhr Brückel noch bedeutend schneller. Auch an den Straßenkreuzungen der Elz-, Mundinger- und Neustraße, welche alle in die Karl-Friedrich-Straße einmünden, mäßigte der Angezeigte sein schnelles Tempo in keiner Weise, so daß an diesen Stellen leicht ein Unglück hätte entstehen können. Einen ungefähren Begriff, mit welcher Schnelligkeit Brückel sein Fahrzeug durch die Stadt lenkte, läßt sich daraus konstatieren, daß dieser ein vor ihm her fahrendes Automobil direkt vor meiner Wirtschaft überholte. Bemerken möchte ich noch: daß es nicht das erste Mal ist, daß Brückel so schnell fährt, sondern man kann dies tagtäglich beobachten und habe ich ihm auch schon zugerufen, er solle langsamer tun. Auch viele andere Leute haben sich über das allzu schnelle Fahren des Herrn Brückel schon beklagt.

Die ZeugenDer 39 Jahre alte verheiratete Seilermeister Bürklin, wohnhaft Elzstaße 14, äußert sich wie folgt:

Brückel fuhr mit unheimlicher Schnelligkeit durch die Karl-Friedrich-Straße, so daß er ein anderes Auto vor der Wirtschaft zum Grünen Baum überholte. Die Geschwindigkeit, mit der Brückel davongefahren ist, hat die eines galoppierenden Pferdes bei weitem übertroffen. Auch sonst ist mir schon aufgefallen, dass Brückel in hiesiger Stadt viel zu schnell fährt.
Der 55 Jahre alte verheiratete Viehhändler Adolf M. Weil, wohnhaft Karl-Friedrich-Straße Nr. 50, gibt auf Einvernehmen an: Ich kann nur sagen, dass Brückel ungewöhnlich schnell gefahren ist. Dies ist mir aber nicht besonders aufgefallen, denn Herr Brückel fährt überhaupt viel zu schnell.

Der BeschuldigteDer Beschuldigte erklärt auf Vorhalt, dass er nicht glaube, sich strafbar gemacht zu haben, denn er habe die zulässige Geschwindigkeit von 15 Kilometern nicht überschritten. Dass er dem vor ihm herfahrenden Automobil vorbeigefahren ist, erkläre sich daraus, dass dieses Fahrzeug ziemlich langsam fuhr und er den Staub, welcher durch dasselbe verursacht wurde, nicht einatmen wollte.

Kommentar und FolgenBemerkt sei, dass Herr Brückel in hiesiger Stadt immer ungemein schnell fährt und haben sich die Leute deshalb schon vielfach beschwert, auch wurde dieser, von dem Unterzeichneten, wegen der gleichen Übertretung schon gewarnt. Meyer I, Schutzmann Man hat heute den Bezirksbaukontrolleur Brückel persönlich verwarnt.

A. Zircher, Amtmann

Dieser Vorgang beschreibt in farbiger Weise, wie es früher einmal auf der Karl-Friedrich-Straße zuging und fordert uns zum Vergleich mit heute auf.


– Der Autor ist Mitglied der Hachberg-Bibliothek, die im Anwesen Leonhardt Quellen zur Regionalgeschichte sammelt, auf die er ebenso zurückgreift wie auf eigene Erinnerungen.

– Bereits erschienen: Als Dreikönig eine Grenze war (4. Januar), Das Stadttor als Verkehrshindernis (5. Januar), Deckel als Neujahrskracher (8. Januar), Landwirtschaft prägte das Straßenbild (10. Januar). Diese vier ersten Beiträge finden sich komplett in der Emmendinger Chronik, die es kostenlos beim Neujahrsempfang der Stadt am 12. Januar und danach in Rathaus und Verwaltungsstellen gibt.

Donnerstag, 10. Januar 2013

Der Bademeister wird zum Eismeister

EMMENDINGEN VOR 50 JAHREN: Im Januar 1963 wurde ein Teil Kollmarsreutes eingemeindet.
  1. Eis- statt Bademeister: Im Freibad mussten die Becken eisfrei gehalten werden. Foto: Armin E. Möller
  2. Frostaufbrüche nach dem Tauwetter: Die Ortsdurchfahrt Kollmarsreute. Foto: Armin E. Möller
  3. Eis- statt Bademeister: Im Freibad mussten die Becken eisfrei gehalten werden. Foto: Armin E. Möller
  4. Frostaufbrüche nach dem Tauwetter: Die Ortsdurchfahrt Kollmarsreute. Foto: Armin E. Möller


EMMENDINGEN. Der Winter 1963 war hart, nicht zu vergleichen mit dem viel zu warmen Dezember des gerade zu Ende gegangenen Jahres 2012 und im Januar vor 50 Jahren wurde es dann noch kälter.

Der nördliche Teil von Kollmarsreute war zu Jahreswechsel einem Teil von Emmendingen geworden – die Eingemeindung der gesamten Nachbargemeindung erfolgte erst acht Jahre später – und wurde bereits von der Stadt länger mit Trinkwasser versorgt, weil die Kapazitäten der Kollmarsreuter Leitungen dafür nicht mehr ausreichten. Auf den abgeernteten Feldern zwischen der Kollmarsreuter Hauptstraße und der Bahn – Höhe Röntgenstraße – lagerten schon die Rohre für eine Wasserleitung und den Abwasserkanal für die Häuser hier, doch winterbedingt konnte mit dem Bau noch nicht begonnen werden. Die Stadt Emmendingen hatte um vorerst die Versorgung zu sichern Kunststoffrohre im Bach neben der Hauptstraße verlegen lassen. Damit die provisorische Leitung aber nicht einfror, durften die Wasserrohre nicht zugedreht werden. Das Wasser lief hier Tag und Nacht und formte Eisskulpturen. Wo versehentlich ein Hahn zugedreht worden war, wurde versucht ihn wieder mit heißem Wasser in Gang zu bringen.
Die städtischen Arbeiter mussten wegen des Kältewinters auch zum Freibad ausrücken. Um das Becken zu schützen wurde das Wasser im Winter nicht abgelassen. Dafür aber musste das Eis entlang der Beckenränder ständig mit schweren Vorschlaghämmern und Pickeln aufgeschlagen werden. Das geschah nicht nur vom Rand aus, auch vom Eis aus wurde gearbeitet, das Eis war so dick, dass es die Männer problemlos tragen konnte. Unter dem strengen Winter hatte der Landkreis Emmendingen auch nach dem Tauwetter zu leiden. Die Frostaufbrüche machten einige Straßen unpassierbar. Die Ortsdurchfahrt der Landstraße 186 in Kollmarsreute blieb aber offen, obwohl sie aussah wie ein Kartoffelacker.

Landwirtschaft prägte die Straße

Landwirtschaft prägte die Straße

BZ-SERIE zur Geschichte der Karl-Friedrich-Straße (Teil IV): Bis in die 1950er Jahre gab es acht bäuerliche Betriebe.
  1. Blick in die Karl-Friedrich-Straße in den 1950er Jahren: Vorn der Schaffhauser, der über Brauerei und Kegelbahn verfügte und sich gegenüber vom Müllerbeck befand, an der Einmündung der Mundingerstraße Foto: Stadtarchiv

EMMENDINGEN (BZ). Die Karl-Friedrich-Straße steht im Blickpunkt: Durch den geplanten Verkauf des daran liegenden Schulgebäudes, durch viele Wandlungen und Umnutzungen, die gerade im Gange sind. Aus diesem Anlass veröffentlicht die Badische Zeitung eine kleine Serie von Bernd Kellner zur Geschichte der Straße.
Auch Kriegserinnerungen sind mit dieser Straße verbunden. Da war das rätselhafte, seltsam trippelnde Geräusch vieler, gehender Menschen und Pferde, das rasselnde Klopfen der Räder von handgezogenen Leiterwagen und anderen Karren und Wagen auf dem holprigen Kopfsteinpflaster, das mich am 25. November 1944 am frühen Morgen aufweckte. Es waren Menschen, die nach dem Bombenangriff auf Freiburg aus der brennenden Stadt flüchteten. Nachdem Monate später die Franzosen unsere Stadt besetzt hatten, waren wir beeindruckt von der unglaublichen Menge an Material, das von den Lastwagen der Armee tagelang über die Straße nach Süden transportiert wurde. Jedes Fahrerhaus hatte oben einen Kranz mit einem Maschinengewehr daran und manchmal stand ein Soldat darin. Der Nachschub hörte Tag und Nacht nicht auf zu rollen. Aus dieser Zeit stammt auch die Erinnerung, dass die Schlittenfahrten, solange der Winterdienst noch nicht gestreut hatte, von der oberen Mundinger Kinzge durch die Mundingerstraße bis zur Karl-Friedrich-Straße gingen.
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In der Mundingerstraße hatte auch der Milch-Wagner seine Milchhandlung. Mit seinem Gespann fuhr er die Milch der Niederemmendinger Bauern in schweren Kannen aus Aluminium über die Karl-Friedrich-Straße durch die Stadt bis zur Zentrale an der heutigen Milchhofstraße. Zwei Häuser weiter oben hatte der Wagner Marti seinen Fahrbetrieb. Wenn jemand gestorben war, machte er seine letzte Fahrt in die Stadt. Das Pferdegespann zog einen kastenförmigen, überdeckten Wagen mit dem Sarg. Je nach der Beerdigungsklasse waren die Troddeln an Bezügen und Pferdegeschirr golden, silbern oder schwarz; und die Kirchenglocken fingen immer dann an zu läuten, wenn das Gespann in die Karl-Friedrich-Straße einbog. Über diese fuhren zur Zeit der Heuernte auch die hochbeladenen Ochsengespanne und neigten sich wegen der Straßenwölbung oft bedenklich; aber es fiel, soweit bekannt, nie einer um.

Überhaupt war dieses Straßenbild bis in die 1950er Jahre sehr von der Landwirtschaft mitgeprägt. Es gab damals in der Unterstadt noch acht bäuerliche Betriebe mit Hof und Stall. Der Strohbach-Schmied, weiter unten an der Karl-Friedrich-Straße, beschlug Pferde und Vieh und setzte seine abglühenden Eisenringe um Holzräder und Radnaben. Die bekam er von den Kahl-Brüdern in Auftrag, die ihre Wagnerei an der Neustraße betrieben. Damals gab es für die Bürger noch das "Bürgerholz" und ein Anteil Elzmatten, Almend genannt. Die Haushalte bleichten ihre Wäsche an der Elz und trocknete sie an mitgebrachten Leinen.

Alles ging längs und quer über diese Hauptstraße. In der modernen Autozeit nahm ihre Bedeutung als Durchgangsstraße zu. So verlor sie ihre Beschaulichkeit. Das Karl-Friedrich-Straßen-Fest 2007 hat etwas von ihrem früheren, regen Leben wiederauferstehen lassen und gezeigt, wie schön es wäre, wenn dies wiederholt werden könnte.

– Der Autor ist Mitglied der Hachberg-Bibliothek, die im Anwesen Leonhardt Quellen zur Regionalgeschichte sammelt, auf die er ebenso zurückgreift wie auf eigene Erinnerungen.

– Bereits erschienen: Als Dreikönig eine Grenze war (4. Januar), Das Stadttor als Verkehrshindernis (5. Januar), Deckel als Neujahrskracher (8. Januar). Der komplette Beitrag steht in der Emmendinger Chronik, die es beim Neujahrsempfang der Stadt am 12. Januar und danach in Rathaus und Verwaltungsstellen gibt.

Dienstag, 8. Januar 2013

Deckel als Neujahrskracher

Deckel als Neujahrskracher

BZ-SERIE zur Geschichte der Karl-Friedrich-Straße (III): Erinnerungen an die Schulzeit.
  1. Die „Bächli“ haben Tradition in Emmendingen, wie diese historische Ansicht der Karl-Friedrich-Straße in Emmendingen zeigt; der Blick geht stadtauswärts vom Goethe-Platz (1910 oder 1913) Foto: Stadtarchiv

EMMENDINGEN. Wenn man sich mit der Stadtgeschichte beschäftigt, ergeben sich immer wieder Bezüge und Parallelen zu Gegenwart und Zukunft. Dies ist auch der Anlass für die Veröffentlichung der von Bernd Kellner verfassten Serie zur Geschichte der Karl-Friedrich-Straße, die derzeit in aller Munde ist: Diskussion um den Schulverkauf, weniger Gasthäuser, dafür neue Nutzungen in zahlreichen Geschäftshäusern und und...
Mit der Karl-Friedrich-Straße und ihren "Bächli" ist manche Erinnerung verbunden. Die Dolendeckel ersetzten in der Besatzungszeit an Neujahr die verbotenen Knaller: Sie wurden mit einigem Kraftaufwand seitlich angehoben und dann losgelassen. Ihr Stahlgewicht prallte mit einem durch die ganze Straße hallenden Getöse in das Granitbett zurück, was beiden offensichtlich nicht schadete. Ein weiteres, weithin hörbares Geräusch in der mittleren Karl-Friedrich- Straße kam aus der Kegelbahn beim "Schaffhauser". Da die erweiterte Straße der Vorstadt dort aufhörte, begann der engere Teil mit einem sehr schönen Biergarten. Über ihm spendeten im Sommer die für einen Biergarten typischen Kastanienbäume Schatten. Dahinter stand die letzte von mehreren Kegelbahnen in Niederemmendingen; sie war noch bis in die fünfziger Jahre in Betrieb. Die rollenden Kugeln, die fallenden Kegel und das dabei entstehende sonderbar klirrende Geräusch waren in der ganzen Nachbarschaft zu hören.
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Bevor die untere Karl-Friedrich-Straße anfangs der 1960er Jahre verbreitert und die ganze Straße asphaltiert wurde, war sie mit schwarzblauen Basalt-Kopfsteinen gepflastert. Bei Nässe waren sie gefährlich rutschig, und ihr Profil neigte sich nach beiden Seiten, damit das Wasser besser in die Bächli ablaufen konnte. Die Emmendinger Vorstadt reichte bis zum "Alten Ochsen" auf der östlichen und dem Anwesen Hodel auf der westlichen Seite. Nur so weit war auch die Straße breit. Oberhalb des Schaffhausers machte der kleine Wasserlauf eine S-Kurve, die "Schlenker" genannt wurde, und verschwand kurz danach an der Ecke zur Mundingerstraße unter einem großen Dolendeckel. Auf der anderen, geraden Seite lief er noch um den Müllerbeck herum in die Neustraße, um dort ebenso im Boden zu verschwinden. Die Kurve vor der Ecktreppe zur Bäckerei war mit einem gebogenen, besonders schön verzierten Dolendeckel überdeckt. Nach schweren Regengüssen fassten die unterirdischen Ableitungen in den Mühlbach die Bächli-Wässer nicht mehr, und die ganze Kreuzung stand unter Wasser, bevor es über die Neustraße abfloss.

Vor diesem schwarzen Mann hatte keiner Angst

Bei der Shell-Tankstelle Steinle, neben dem Müllerbeck, lagen über der ganzen Bächlilänge Zementplatten, unter denen manchmal etwas hängen blieb und das Wasser zurückstaute. Das Hindernis wurde dann mit einer langen, eisernen Stange, an deren Ende Meister Steinle für diesen Zweck einen Haken geschweißt hatte, beseitigt, was immer eine aufregende Aktion war. Ebenso lief alles zusammen, wenn der "schwarze Mann" der Schuhpflege-Firma Nigrin auftauchte. Er trug einen Zylinderhut und ein riesiges, rundes Nigrin-Reklameschild auf dem Rücken und lief auf hohen Stelzen.

Für die Schulbuben waren die Bächli eine beliebte Sommerbeschäftigung. Barfuß von der Karl-Friedrich-Schule mit ihren geölten Holzböden kommend, stauten sie mit unseren kleinen Füßen das Wasser.

Von Spucknäpfen und fliegenbesetzten Holztoiletten

In der Karl-Friedrich-Schule standen damals übrigens noch Spucknäpfe in den Ecken und jeder Gang in die grüne, fliegenbesetzte Holztoilette hinter der Schule war ein Opfergang.

Das Spiel im Bächli ergab eine Welle. Neben der rannten die Buben her und schauten, ob sie von der nächsten eingeholt wurde, die der Hintermann laufen ließ. Sie gaben auch Kommandos, um das zu regulieren. Das "Aahalte!" und "Renne lo!" klingt heute noch in den Ohren. Und eines Tages - wohl nach den großen Ferien - waren es aus mit diesem Spiel. Die Füße passten nicht mehr in den Bächli-Querschnitt. Sie waren zu groß.

– Der Autor ist Mitglied der Hachberg-Bibliothek, die im Anwesen Leonhardt Quellen zur Regionalgeschichte sammelt, auf die er ebenso zurückgreift wie auf eigene Erinnerungen. Der komplette Beitrag erscheint in der Emmendinger Chronik, die es beim Neujahrsempfang der Stadt am 12. Januar und danach in Rathaus und Verwaltungsstellen gibt.

Samstag, 5. Januar 2013

Als Dreikönig eine Grenze war

Als Dreikönig eine Grenze war

BZ-SERIE zur Geschichte der Karl-Friedrich-Straße (I): Der Straßenzustand war schon immer ein Sorgenkind.
  1. Historische Ansicht der Karl-Friedrich-Straße, Blick vom Dreikönig stadtauswärts um 1875 Foto: Privat

EMMENDINGEN. Die Karl-Friedrich-Straße steht im Zentrum des Interesses – nicht nur, weil der geplante Verkauf des dortigen Schulgebäudes die Gemüter erhitzt. Neue Nutzungen alter Gebäude sind an der Tagesordnung: So wird aus der Wirtschaft Engel das Haus der Diakonie, dem Grünen Baum gesellt sich ein Feng-Shui-Hotel zu, für den Dreikönig hat sich ein Investor gefunden und ein Poledance-Studio, das zweite in Südbaden, öffnet Ende Januar an der Straße, deren jüngst geglätteter Zustand auch früher Sorgen bereitete.
Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten, heißt es. Die BZ nimmt diesen Wandel zum Anlass, eine kleine von Bernd Kellner verfasste Serie zur Straße zu veröffentlichen:

Das Emmendinger Wahrzeichen, sein schönes Stadttor, verrät durch seine Ausrichtung, dass die alte Straße anders verlief als die Karl-Friedrich-Straße heute. Es zeigt nämlich zur Steinstraße hin, über die sich damals die Fußgänger und Reiter, die Kutschen, Ochsenwagen und Handkarren bewegten. Sie war Vorläufer der Bundesstraße 3 und lief oberhalb der Elzniederung an den Vorbergen entlang durch Nieder-Emmendingen. Mit der noch wilden, unregulierten Elz war die Überschwemmungsgefahr stets groß. Oft liefen deshalb Handelswege über Bergrücken. Von Emmendingen verlaufen heute noch die Straßen nach Tennenbach und (über Landeck) nach Freiamt auf der Höhe. Straßenwart und Faschinenleger galten als wichtige Berufe, besonders bei Sturmbruch und Uferunterspülungen. Da hatten sie das große Sagen, um die Mitbürger, die den Schaden gemeinsam beheben wollten, anzuleiten.
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Der Emmendinger Stadtarchivar Hetzel schreibt 1983 in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Gemeindevereinigung: "Lange Zeit waren Emmendingen und Nieder-Emmendingen durch Ackerland voneinander getrennt, und ein großer Stein schied die Gemarkungen; die Grenze verlief auf der Höhe des früheren Gasthauses Dreikönig; die ersten Häuser von Nieder-Emmendingen standen ungefähr auf der Höhe der heutigen Mundinger- und Neustraße. .... In den Jahren nach 1757 wurden die beiden Orte zusammengebaut. Dabei kam der untere Teil der Emmendinger Vorstadt, die Friedrichsgasse auf Nieder-Emmendinger Gemarkung zu stehen. .... Der endgültige Zusammenschluss beider Gemeinden erfolgte am 1. Januar 1883. Kirchlich war dies bereits im Jahr 1806 geschehen. Heute noch trägt der Grenzstein hinter der Toreinfahrt des "Dreikönig"-Anwesens - als einer der letzten - die Buchstaben-Zeichen "NE" und markiert die frühere Grenze. Das zuvor dort bestehende Wirtshaus hieß "Zum wilden Mann".

Die hygienischen Verhältnisse waren lange Zeit problematisch

Kurz vor der Vereinigung beider Emmendingen schreibt Bezirksarzt Bloch in einer Untersuchung der hygienischen Verhältnisse in Nieder-Emmendingen: "Die Hauptstraße bildet einen Teil der durchziehenden Landstraße. Auch sie entwickelt bei trockener Witterung viel Staub, bei nasser reichlich Schmutz, dem durch sorgfältige Begießung und Reinigung noch leichter abzuhelfen wäre, als in Emmendingen, weil hier durch das weitere Auseinanderstehen der Häuser dem Zutritt der Luft kein Hindernis entgegensteht, und eine große Wassermasse ganz nah ist. Das gleiche ist von den Ortsstraßen zu sagen; doch ist in den letzten Jahren durch Erhöhungen und Rinnenpflasterung viel verbessert worden; und wer sich an die buckeligen Wege, an die das ganze Jahr hindurch mit grüner Jauche gefüllten schlechten Rinnen und Pfützen erinnert, wie wir sie noch vor wenigen Jahren sahen, wird sich mit uns des großen Fortschritts freuen, welcher beweist, was bei richtiger Einsicht und gutem Willen geleistet werden kann. Nieder-Emmendingen, in welchem früher Wechselfieber und Nervenfieber fast das ganze Jahr herrschten, gehört jetzt zu den gesunderen Orten des Bezirks."

– Der Autor Bernd Kellner ist Mitglied der Hachberg-Bibliothek, die im Anwesen Leonhardt Quellen zur Regionalgeschichte sammelt, auf die er ebenso zurückgreift wie auf eigene Erinnerungen.

Das Stadttor als Verkehrshindernis

Das Stadttor als Verkehrshindernis

BZ-SERIEzur Geschichte der Karl-Friedrich-Straße (II): Die zweite Tordurchfahrt ist streitbaren Bürgern zu verdanken.
  1. Eine historische Aufnahme der Karl-Friedrich-Straße zeigt den Blick zum Stadttor um 1919, rechts das Bismarck-Denkmal vor dem Amtsgericht. Die Fotos, die beim Karl-Friedrich-Straßen-Jubiläum gezeigt wurden, hat die Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt. Foto: Stadtarchiv

EMMENDINGEN. Wenn man sich mit der Stadtgeschichte beschäftigt, ergeben sich immer wieder Bezüge und Parallelen zur Gegenwart und Zukunft. Dies ist auch der Anlass für die Veröffentlichung der von Bernd Kellner verfassten Serie zur Geschichte der Karl-Friedrich-Straße. Die Veränderungen dort sind am 14. Januar Thema bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises Innenstadt – ein weiterer Anlass, sich zurückzuerinnern.
Der markgräflich genehmigte Bau der Emmendinger Vorstadt zeigt, dass die Verkehrsachse nach Norden um diese Zeit anders als ursprünglich verlief. Dies zeigt der Winkel, mit dem sie jetzt vom Tor stadtauswärts weiterging. Das Tor sollte in den 1920er Jahren wegen Verkehrsbehinderung abgerissen werden, doch wehrten sich die Bürger dagegen mit einem regelrechten Kulturkampf. So kam es zur zweiten Tordurchfahrt. Die obere Karl-Friedrich-Straße war praktisch zwei Jahrhunderte lang die einzige Ausfallstraße zur Unterstadt und weiter. Die vielen Wirtschaften, die es um 1900 an ihr gab, bezeugen dies: auf der westlichen Seite der "Ochsen", der "Schwanen", der "Dreikönig", die "Brauerei Hodel", und auf der Ostseite der "Engel", die "Sinnerhalle", der "Alte Ochsen", der "Schaffhauser", der "Grüne Baum" und der "Bären". Am Haus Hodel befinden sich heute noch die Ringe, an denen die Gespanne angebunden waren. Die Pferde wurden mit Decken abgedeckt, und bis der Fuhrmann wieder "heraus" kam, durften sie ihren Hafer aus dem Maulsack fressen.
Das "Lämmle", weiter unten an der Straße, war nie eine Wirtschaft, sondern hatte seinen Namen von dem schönen Sandstein-Relief über der Tür. Auf Fotografien um 1875 ist die Karl-Friedrich-Straße dreigeteilt. In der Mitte war die Verkehrsstraße mit gestampftem Boden, in dem die Wagenräder bei schlechtem Wetter tiefe Spuren hinterließen. Auf beiden Seiten liefen abgeflachte, gepflasterte Gehsteige mit Rinnen, über welchen vor einigen Häusern hölzerne Stege lagen. Die Eingangstreppen führten mit einigen Stufen in das Hochparterre der Vorstadthäuser und ragten oft weit in den Gehweg hinein.

Fotografien von 1910 zeigen eine verbreiterte Fahrbahn, noch immer mit gestampftem Boden, wohl ähnlich wie bei unseren heutigen Forstwegen für die Holzabfuhr, und die Gehsteige auf beiden Seiten waren geteert. Durch den erhöhten Gehweg wurden die Treppen weitgehend zurückgebaut. Straße und Gehwege waren jetzt durch die "Bächli" getrennt. Die waren aus Granitstein und hatten einen Halbkreis mit etwa 20 cm Durchmesser als Querschnitt. Das Fließwasser füllte normalerweise etwas mehr als die Hälfte der Rinnen aus. Beim Bachabschlag, oder wenn die Heil'sche Mühle nicht genug Wasser im Mühlbach staute, lagen sie trocken. Bei jedem Haus wurden die Bächli durch schwere, geriffelte Stahlplatten, etwa 50 x 50 cm, überbrückt, die nebeneinander lagen und im Sprachgebrauch "Doledeggel" genannt wurden. Sie hatten den Krieg überstanden, ohne zu Kanonen eingeschmolzen zu werden. Ihr Material taugte - anders als der Bismarck vor dem Amtsgericht und so manche Emmendinger Glocke - nicht dazu.
– Der Autor ist Mitglied der Hachberg-Bibliothek, die im Anwesen Leonhardt Quellen zur Regionalgeschichte sammelt, auf die er ebenso zurückgreift wie auf eigene Erinnerungen. Der komplette Beitrag erscheint in der Emmendinger Chronik, die es beim Neujahrsempfang der Stadt am 12. Januar und danach in Rathaus und Verwaltungsstellen gibt.

Samstag, 24. Dezember 2011

Ein Christbaum für Schrankenwärter

Ein Christbaum für Schrankenwärter

EMMENDINGEN VOR 50 JAHREN: An der berüchtigten Europaschranke machten es sich die Bahnbeamten so gut es ging gemütlich.

  1. Heiligabend vor der Bretterbude: Emmendinger Schrankenwärter hatten keinen leichten Job. Foto: Armin E. Möller

EMMENDINGEN. Ein Weihnachtsbaum musste einfach sein – auch wenn es sonst wenig weihnachtlich bei der Bahn zuging. Mehr als drei Dutzend Schrankenwärter arbeiteten bis Ende der 1960er Jahre im Schichtbetrieb. Emmendingen war wegen seiner Bahnschranken berüchtigt. Am Übergang Bahnhof, wo die damals sehr befahrene Bundesstraße 3 die Bahn kreuzte – beides höchst wichtige Nord-Süd-Verbindungen – stauten sich die Autoschlangen vor den oft geschlossenen Schranken bis nach Gundelfingen oder bis nach Kenzingen.

Die Autobahn war erst im Bau, aber die Motorisierung hatte schon kräftig eingesetzt. Ortskundige wichen, wann immer es möglich war, auf den Bahnübergang Markgrafenstraße aus – mit dem Ergebnis, dass sich auch hier Monsterschlangen bildeten. Außer an den drei Übergängen in der Kreisstadt selbst – das Zentrum für Psychiatrie hatte seine eigene Zufahrtsstraße und entsprechend eine eigene Schranke, später wurde daraus eine Bahnunterführung -– wurden auch in Kollmarsreute und in Teningen die Schranken für jeden Zug hinab gelassen, und wenn die roten Schlussleuchten der Bahn zu sehen waren, wieder geöffnet.

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Die Schrankenwärter mussten Muskelarbeit leisten. Wenn über die Meldestrecken – an jedem Bahnübergang gab es Läutewerke, die Züge mit Glockenklang ankündigten – ein herannahender Zug gemeldet wurde oder über das bahnamtliche BASA-Telefon gemeldet wurden, mussten die Schrankenwärter die Kurbeln vor ihren Schutzhäuschen bedienen. Schranken wurden herunter- und herauf gekurbelt und das per Hand. An der Markgrafenstraße und an der Bahnhofsstraße wurden gleich zwei Kurbeln gleichzeitig betätigt. Die Schrankenwärter arbeiteten beidhändig. Außer der großen Schranke, mit der die Straße abgesperrt wurde, gab es noch eine kleine Schranke für den Fußgängerübergang.

Die Arbeit war schlecht bezahlt und verantwortungsvoll. Am Bahnübergang Bahnhofsstraße kam es zu tödlichen Unfällen, weil die Schranke zu spät geschlossen wurde. Die Schrankenwärterhäuschen – Bretterbuden mit Tisch Stuhl und Kohleofen – waren alles andere als gemütlich. Hier am Heiligen Abend Dienst tun zu müssen – die Züge fuhren auch in dieser Nacht nach Plan – war hart. Damit es wenigstens ein wenig weihnachtlich wurde, besorgten sich die Bahnler Weihnachtsbäume, die am Schrankenwärterhäuschen aufstellten. An elektrische Lichterketten war dabei nicht zu denken – vor 50 Jahren benutzte man überall Stearin-, oder wenn’s besonders feierlich werden sollte, Bienenwachskerzen. Für den Straßenschmuck wurden Ketten mit ganz normalen Glühbirnen verwendet, wie sie damals noch in Emmendingen selbst von der Firma Litec hergestellt wurden. Da in der Schutzhütte der Schrankenwärter kein Platz für einen Baum war, wurde der Baum einfach davor aufgestellt. An Kerzen war da nicht zu denken – aber manchmal – wie auf unserem Bild vom damaligen Bahnübergang Markgrafenstraße– sorgte kräftiger Schneefall für weihnachtliche Stimmung ein paar Meter von den Gleisen entfernt.

Heute ist das Vergangenheit. Die Bahn finanzierte zwei Brücken und eine Bahnunterführung mit, auch um in Emmendingen Personal zu sparen. Weil dazu die Stadt Emmendingen ihren finanziellen Beitrag leisten musste, sind die genauen Baukosten bekannt. Die wichtigste Überführung, die den alten Friedhof kreuzt, kostete ohne Nebenbauten sechs Millionen Euro. Aus heutiger Sicht ein Schnäppchen! Noch ist für Radfahrer und Fußgänger gut zu erkennen, wo es Bahnübergänge in der Kreisstadt gab.

Autofahrer merken davon nichts mehr. Sie fahren seit mehr als 40 Jahren auf Brücken über die Bahn hinweg oder auf Unterführungen – am Bürkle – unter ihr hindurch. Damit Fußgänger und Radfahrer keine allzu großen Umwege machen mussten, wurde am Bahnhof dort eine Fußgängerunterführung gebaut, wo es einst den beschrankten Bahnübergang gab. Dabei wurde darauf geachtet, dass er groß genug wurde, um im Notfall auch mit Rettungswagen hindurch fahren können. An der Markgrafenstraße wurde ein Bahnwärter-Wohnhaus abgerissen um einen Übergang – damals nach dem Bürgermeister als "Karl-Faller-Schnecke" verspottet – bauen zu können. Weihnachtsbäume werden direkt an der Bahn nicht mehr aufgestellt. Wozu auch, es gibt ja auch keine Schrankenwärter mehr, die sich daran erfreuen können.